Wer soll da noch durchblicken, was stimmt und was nicht?

ÜBER MYTHEN UND FAKTEN RUND UM SEXUALITÄT

von Viktoria Bachmann, ehrenamtliche Mitarbeiterin von THE RAIN WORKERS

Sex, Masturbation, Verhütung, Menstruation… eigentlich würden wir viel öfter offen darüber reden wollen. Doch meist hängen an diesen Themen Scham, Unsicherheit und – ganz ehrlich – so manche Fragezeichen. Und als wäre das nicht genug, halten sich rund um Sexualität und reproduktive Gesundheit hartnäckig noch jede Menge Mythen. Da fragt man sich schon: Wer soll da noch durchblicken, was stimmt und was nicht?

Mythen rund um Sexualität kennen wohl keine Grenzen: Sie tauchen in Schulen, Jugendgruppen, bei Familienfesten, in Gesprächen mit Großeltern oder in unseren Trainings von THE RAIN WORKERS auf. Durch unsere Arbeit stellten wir fest: Ob in Österreich oder in Kenia, die Geschichten ähneln sich erstaunlich oft! In Wien wie in Nairobi, es begegnen uns nahezu die gleichen Irrtümer und vergleichbare Tabus.

Mythen rund um das „Jungfernhäutchen“

Also lasst uns nun Mythen richtigstellen und Fakten ans Licht holen: In diesem Beitrag dreht es sich um einige falsche Vorstellungen rund um das Hymen.

Anhand des Hymens – bis heute vielerorts als „Jungfernhäutchen“ bezeichnet – lässt sich erkennen, wie weitreichend Fehlinformationen wirken können. Egal ob in kinderärztlichen Ordinationen oder bei unseren Workshops, es begegnet uns die tief verankerte, fälschliche Annahme: „Das Hymen verschließe die ganze Vagina und verrate, ob jemand bereits penetrativen Sex hatte.“ Doch wissenschaftlich betrachtet stimmt das so nicht.

Um das besser einordnen zu können, stellt sich zunächst die Frage: Was genau ist eigentlich das Hymen? Es handelt sich dabei um eine flexible Schleimhautfalte am Eingang der Vagina. Das Hymen ist ein Relikt der embryonalen Entwicklung, also sozusagen ein Übrigbleibsel aus der frühen Entwicklungsphase vor der Geburt (1). Manchmal reißt das Hymen bereits in den ersten Lebenstagen auf (2).

Hymen hat keine eindeutige biologische Funktion

So verschieden wir Menschen sind, so unterschiedlich kann auch ein Hymen aussehen, als Rand um den Vaginaleingang, halbmondförmig, ringförmig, mit einer kleinen Öffnung in der Mitte oder fast vollständig geschlossen (1). Das heißt, das Hymen kann in verschiedenen Formen am Vaginaleingang erhalten bleiben. Zudem kann sich das Hymen alters- und hormonabhängig verändern (1, 2).

Eine eindeutige biologische Funktion hat das Hymen nicht, eines ist jedoch sicher: Wer glaubt, man könne lediglich anhand des Hymens nachweisen, ob jemand bereits penetrativen Sex hatte, liegt schlicht falsch (2)! Studien zeigen eindeutig, dass die sogenannte „Jungfräulichkeitsuntersuchung“, bei der eine gängige Methode die Inspektion des Hymens auf Risse oder die Größe der Öffnung ist, wissenschaftlich nicht valide ist (2, 3). Ganz zu schweigen von den psychischen, physischen und sozialen Belastungen, die sie für die Betroffenen mit sich bringen kann (3). Fest steht: Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die „Jungfräulichkeitstestung“. Sie ist ethisch problematisch und verletzt eindeutig Frauenrechte (4)!

Blutungen beim „ersten Mal“?

Und weil wir gerade beim Thema sind, fahren wir mit einem weiteren Mythos rund um das Hymen und die „Jungfräulichkeit“ fort: Die berüchtigte Erwartung der “blutbefleckten Bettwäsche” nach der Hochzeitsnacht, sagt weder etwas über die sexuelle Vergangenheit einer Frau aus, noch beweist sie Jungfräulichkeit oder deren Gegenteil (2, 5). Dass es beim ersten penetrativen Geschlechtsverkehr zwingend zu einer Blutung kommt, ist ein hartnäckiger Irrglaube, wie Studien zeigen (5). Das Hymen enthält in der Regel nur wenige Blutgefäße, sodass es selbst bei einem kleinen Einriss meist nicht stark bluten würde  (2).

Vielmehr hängen Blutungen und die manchmal damit verbundenen Schmerzen beim ersten penetrativen Geschlechtsverkehr von Faktoren wie mangelnder Lubrikation, Gewalt, kulturellen Erwartungen oder individuellen anatomischen Gegebenheiten ab (2, 5). Fakt ist: Ob es beim „ersten Mal“ zu einem Blutverlust kommt, lässt sich nicht allein durch anatomische Gegebenheiten erklären. Zahlreiche weitere Faktoren spielen hier eine Rolle (2, 4).

Statt uns also an überkommenen Vorstellungen festzuklammern, sollten wir das sozial und kulturell konstruierte Konzept der „Jungfräulichkeit“ kritisch hinterfragen und Sexualität vielmehr als etwas begreifen, das auf Einvernehmlichkeit und Respekt basiert. RAIN WORKER setzen sich aktiv dafür ein, Mythen durch Wissensvermittlung aufzudecken und so nicht nur Wissen regnen zu lassen, sondern auch sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung zu fördern: ein klarer Schritt in Richtung Gender Equality! Immer nach dem Motto: #knowledgeasachance & #letwomenrise.

Viktoria ist angehende Medizinerin mit Herz und Engagement für Gender Equity und Chancengerechtigkeit. Bei THE RAIN WORKERS ist sie mit ihrer medizinischen und pädagogischen Expertise als ehrenamtliche Mitarbeiterin tätig.

Quellenangaben:

1.            Moussaoui D, Abdulcadir J, Yaron M. Hymen and virginity: What every paediatrician should know. J Paediatr Child Health. 2022; 58(3):382-7.

2.            Mishori R, Ferdowsian H, Naimer K, Volpellier M, McHale T. The little tissue that couldn't - dispelling myths about the Hymen's role in determining sexual history and assault. Reprod Health. 2019; 16(1):74. 

3.            Olson, R., García-Moreno, C. Virginity testing: a systematic review. Reprod Health. 2017; 14(1):61. 

4.            World Health Organization. Eliminating virginity testing: an interagency statement [Online document]. 2018 [zuletzt aufgerufen am 23.09.2025]. Verfügbar unter: https://www.who.int/publications/i/item/9789241515703.

5.            Loeber O. Over het zwaard en de schede; bloedverlies en pijn bij de eerste coïtus. Een onderzoek bij vrouwen uit diverse culturen. Tijdschr Seksuol. 2008; 32:129-37.

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